Re: Fahrradzukunft 32 erschienen!

von: iassu

Re: Fahrradzukunft 32 erschienen! - 07.10.21 21:36

Ich finde, es wird zu wenig auf Vergangenheit und Zukunft geachtet, wenn diese Themen besprochen werden. In den Bedingungen, die bis vor meinetwegen 20 Jahren herrschten, war einigermaßen klar, daß das Auto nunmal das Hauptverkehrsmittel ist, das war Standarddenken. Ausnahmen bestätigen die Regel. In einer Zukunft, die menschliches Dasein ermöglicht, wird sich das ändern müssen, das braucht nicht mehr näher begründet zu werden, das ist offensichtlich. Das Problem entsteht, wenn das Denken stehen bleibt.

So gesehen kann es sein, daß in einigen Fällen bei geändertem Bewußtsein der Entscheidungsträger in der Zukunft ein Fahrverbot aus Bundesstraßen aufgehoben werden könnte, nehmen wir das mal an. Aber gibt es dafür wirklich Bedarf? Dagegen aber spricht dann oft doch die räumliche Ausdehnung. Fernstraßen, die einen über lange Distanzen, also meinetwegen > 30 km, von A nach B bringen, werden kaum je für Fahrradfahrende so interessant sein, daß sie dort eine nenenswerte Größe darstellen. Karls frühere Forderungen auch hier im Forum, Autobahnen für Radler freizugeben, halte ich deswegen nach wie vor für irrelevant. Landstraßen, gleich welcher rechtlichen Kategorie, sind da ein Mittelding.

Ich selber hatte selten bis nie innere Probleme, zusammen mit viel Autoverkehr auf erlaubten Bundesstraßen Rad zu fahren. Aber das gilt nicht immer und überall. Je älter ich werde, um so weniger traue ich mich Sachen, die mir früher egal waren. Und es gibt Straßen, da möchte ich unter keinen Umständen Rad fahren, egal, wie erlaubt das sein mag. Also ich denke, diesen Bedarf, daß bislang Verbotenes erlaubt werde und daß viele Verkehrsflächen vom Fahrrad in großer Menge erobert werden sollen/können, diesen Bedarf gibt es so pauschal nicht.

Zur Frage der verantwortungsvollen Selbstbestimmung: das wird in der Tat so nicht gleich funktionieren. Denn man hat in jahrzehntelanger Konsequenz in der Bildung den Menschen das Selberdenken und das Selbereinschätzen und das Selberverantworten gründlich ausgetrieben bzw abgewöhnt. Und zwar allgemein, nicht nur im Straßenverkehr.

Wenn man heute alle Ampeln in den Städten abschaltete, würden viele Verkehrsteilnehmer überfordert sein. Die Fähigkeiten, sich verantwortungsvoll=sinnvoll im Straßenverkehr fortzubewegen, werden keinesfalls sofort wieder vorhanden sein, so, wie es dazumal war, als wir noch nicht totreguliert wurden. Es würde eine Pendelbewegung geben zwischen primitivem Hoppla-jetzt-komme-ich-Egoismus und zwischen Blockade durch Resignation. Man kann nicht einfach den Status von damals wieder etablieren und glauben, damit sei alles ins Reine gebracht. Schon deswegen finde ich deine anektotische Bemerkung zur Schweiz nicht weiterführend. Zumal, um im Plattitüdenstatus zu bleiben, der Schweizer heute kaum weinger autovernarrt sein dürfte, als der Wolfsburger, Rüsselsheimer, Untertürkheimer, Neckarsulmer, Münchner, Ingolstädter oder Weissacher.

Jetzt zu Fahrradnutzungsverbot vs Dunkelradler. Diese Verknüpfung kam ja zustande, wenn ich das richtig verstanden habe, indem die Fähigkeit und der Wille zu eigenverantwortlicher Situationseinschätzung und Handeln den Radfahrenden abgesprochen wird, denn man sieht ja, daß die sowas nicht können.

So ganz daneben finde ich das nicht. Denn diese "Schwachköpfe" gibt es numal in allen Schichten und mit allen Verkehrsmitteln. Ob man jetzt legitim von X auf Y schließen kann/darf, möchte ich nicht beantworten. Aber, wie oben beschrieben: an eine großartige Sozialmündigkeit des Durchschnittsbürgers, die nur wachgekitzelt bzw durch Abmontieren der Verbotsschilder ihrer Fesselung beraubt zu werden braucht: an die glaube ich eher mal nicht.

Schließlich zum Gefährdungspotential: klar, das KfZ hat im Vergleich zum Fahrrad das kaum vergleichbare, vielfache Gefährdungspotential. Aber bleiben wir mal beim Dunkelradler: Umgekehrt wie im Unfallfaden neulich finde ich es wenig weiterführend, wenn auf dessen Grabstein steht: er war selber schuld, er fuhr ohne Beleuchtung. Das ist das Eine. Das Andere: Wenn ich mit dem Auto einen Radfahrenden beschädige oder töte, gibt das meinem ganzen weiteren Leben eine Prägung, die einfach nur katastrophal ist. Da spielt es genau garkeine Rolle, ob da Beleuchtung mit im Spiel war oder nicht. Ich finde das Dunkelradeln einen ganz gewaltigen Egoismus, der gleichzeitig dummdreist ist, weil er nicht weiter denkt als bis zum Gleichebenjetzt.

So gesehen hat Radfahren unter Ausnahmebedingungen auch sein sozialrelevantes Schadenspotential, wenn es von solchen "Schwachköpfen betrieben wird und kein Schutzengel bereitsteht. Ich selber wundere mich immer wieder, daß und warum nicht viel mehr passiert unter solchen Bedingungen.

Das waren jetzt mehrere Themenbereiche, die da alle angeschnitten werden, die man aber eigentlich eher auseinanderhalten sollte.