Re: Umfrage Alter der Mitglieder 2019

von: veloträumer

Re: Umfrage Alter der Mitglieder 2019 - 27.03.19 19:59

In Antwort auf: Martina
Wie bereits gesagt: es steht nirgends geschrieben, dass es eine starke positive Korrelation zwischen der Ernsthaftigkeit des Radreisens und dem Posten in welchen Bereichen auch immer des Internets gibt. Es gibt garantiert Leute, die ihren einmaligen Wochenendtrip mit dem Pathos einer Weltreise auf Facebook oder jutjub oder sonstwo vermarkten, es gibt aber auch umgekehrt die, die einfach machen und nicht im Internet darüber berichten.

In den Einzelfällen trifft das zu, im statistischen Mittel bildet sich aber nahezu immer ein Trend bzw. vermehrte Aktivität auch in einer Resonanz in den (sozialen) Medien ab. Es ist ja kein Zufall, dass sich heute Facebook-Gruppen zu Radreisen finden, ziemlich viele und verschiedene Formen von Selbstvermarktung zu finden sind, Blogs geschrieben werden usw., also vermehrt Radreisende auch ein Kommunkationsventil brauchen. Auch der Anstieg von Mitgliederzahlen im Radreiseforum hat ja zunächst einmal mehr Aktivität verursacht, mittlerweile hat sich das aber aufgefächert in andere Medienkanäle bzw. aus anderen, auch bereits diskutierten Gründen abgeebbt ist. Geht die Zahl der Radreisenden insgesamt zurück, wird sich das auch auf die Plattformen auswirken, evtl. ist das das Forum da nur ein Trendsetter und in einigen Jahren brechen dann auch die Gruppen bei Facebook & Co. ein.

Nicht zu vergessen ist auch das E-Bike als Radreisegerät, i.d.R. suchen solche Radreisenden schon aus anderen Gründen ein Portal, das also z.B. technisch näher liegt. Auch die Mountainbikeszene findet sich ggf. eher in "ihrem" Portal wieder. Je mehr Technik sich entwickelt, desto gespaltener wird die Gemeinde (gravel etc.). Normalerweise würden sich ja hier Leute sammeln, die den Fokus auf das Radreisen legen, aber das scheint mir angesichts der umfänglichen Technikdiskussionen auch eher eine Illusion und die Radreisewelt technisiert sich ja eher weiter (was von den Reiseerlebnissen ablenkt). Schließlich gibt es noch Länderforen, manche laufen halt gut, andere weniger. Wohl gibt es da aber ähnliche Effekte, wenn die Interessen oberflächlicher behandelt werden, weil es in und mit den neuen Medien so gelebt wird.

Als letztes würde ich auch noch die Reisekultur selbst einmal einer kritischen Betrachtung unterwerfen, wenn das Dagewesen-sein und in Echtzeit der Welt und/oder Freunden gepostet immer wichtiger wird als die Sache selbst. Das war ja früher ganz anders, außer vielleicht ein paar Postkarten mit Zeitverzögerung musste die "Freunde" Wochen oder Monate warten, bis die Abenteurer zurückgekehrt waren und dann in Old-school-Erzählformen von Diaabenden oder Geschichtenerzählen berichteten, evtl. sich dazu auch noch vorbereiteten. Wenn die Reisenden heutzutage zurück sind, ist vielleicht schon alles wieder vergessen und unwichtig geworden (es weiß ja shcon jeder) oder die nächste action wartet. Insofern steht die verwendete Technik und die innere Einstellung zu einer Sache auch immer in einer gewissen Korrelation. Das ist auch wieder beruhigend, denn sicherlich werden auch weiterhin Radreisebücher geschrieben (mehr denn je) oder "veraltete" Webdarstellungen gesucht - sicherlich auch mal mit sinkenden Zahlen, aber deswegen noch längst nicht obsolet.

Diese Erscheinung des fragwürdigen Echtzeitpostens haben wir auch bei Veranstaltungen wie Konzerten oder gar beim Essengehen. Die Aufmerksamkeit (und der Respekt) der Sache selbst gegenüber nimmt ab, aber das Mitteilungsbedürfnis steigt "schaut her, wo ich bin und was ich mache", wozu eben ein Forum weniger geeignet ist als eben neuere Mediakanäle. Man könnte das auch mit "Kommunikationsnarzissmus" betiteln, in Anlehnung an einen Informationswissenschaftler und Bankökonomen, der schon in den 1980er Jahren von einer aufkommenden Kommunikationsneurose sprach - also das Kommunikationsbedürfnis kaum noch im Verhältnis zur inhaltliche Essenz steht.