Re: Reisen mit Kindern - Pino Tour

von: irg

Re: Reisen mit Kindern - Pino Tour - 12.05.20 06:18

Hallo Fricka!

In Antwort auf: Fricka
Zitat:
Da war die Erziehung meiner Eltern von uns Kindern zu "Bergsteigern" (also Leute, die Entbehrungen und Härten weg stecken, ohne mit der Wimper zu zucken) selten dämlich und kontraproduktiv.


Wie äußerte sich das denn für dich? Hattest du weniger Spaß als du hättest haben können? Bist du krank geworden? Hast du dich körperlich nicht so entwickelt, wie du hättest sollen?

Mich interessiert das sehr. In meiner eigenen Kindheit hieß es "vom Wasser trinken kriegt man Läuse im Bauch", bei den Mahlzeiten zu trinken, galt als quasi unanständig. Das fand auch nicht statt. Bei Wanderungen hatte man ein Butterbrot dabei. Aber keine Trinkflasche.

Als meine Kinder klein waren, galt auch schon: Je mehr man trinkt, desto besser. Babys wurden abgefüllt bis zum Überlaufen. So dass sie kaum eine Chance hatten, mal irgendwann trocken zu werden. In Schule und Kindergarten wurden Saftflaschen mitgeschleppt, deren Inhalt regelmäßig auslief. Später durfte sogar während des Unterrichts jederzeit getrunken werden.

Trotz milder Zweifel haben wir das natürlich auch mitgemacht. Glücklicherweise tranken meine Kinder am liebsten Leitungswasser. Das macht keine Flecken. Unser Gymnasium stand in einem Kurort. Dort gab es tolles Leitungswasser. Hier in der Großstadt war das damals noch gechlort. Mineralwasser wollten sie aber nicht. Die Kleinen schleppten also morgens eine Trinkflasche voller Leitungswasser aus der Großstadt in den Kurort. Meinem Vorschlag, doch eine leere Flasche mitzunehmen (was auch das Gepäckgewicht verringert hätte, das immer grenzwertig war) und sie in der Schule zu füllen, wurde hartnäckig abgelehnt.

Jedenfalls sind unsere Kinder trotz Dauerabfüllung und -fütterung tapfere kleine Bergsteiger geworden. Das eine mehr, das andere weniger begeistert von entsprechenden Aktivitäten.


Wer deutlich zu wenig Flüssigkeit hat, reduziert seine Leistungsfähigkeit stark. Dieser Effekt tritt bei Kindern stärker auf als bei Erwachsenen. Dazu kamen in meiner Kindheit andere Faktoren auch noch. Natürlich habe ich es überlebt, auch körperlich habe ich mich normal, wenn auch ziemlich untergewichtig, entwickelt. Ich habe damals nur das Bergsteigen zu hassen gelernt.

Am Sonntag Abend war ich das glücklichste Kind: Eine Woche lang auf keinen dämlichen Berg mehr hatschen müssen! Eine "Erziehung zum Bergsteiger", die ich ohnehin für unsinnig einschätze, schaut in meinen Augen anders aus: Schönes erleben können. Spaß in der Natur, am Berg erleben. Eigenverantwortung, eigene Interessen zu entwickeln fördern. Das Tempo und die Ziele an die Möglichkeiten der Kinder anpassen. Die Kinder zunehmend selbst entscheiden lassen, ob sie bergsteigen wollen oder nicht. Und natürlich die Kinder trinken lassen, wenn sie durstig sind.

Natürlich gibt es dabei immer auch Momente, in denen es nicht nach Plan läuft, der Weg weiter ist, als gerade angenehm, die Flasche leer und keine Quelle in Reichweite. Das ist kein Problem. Aber planmäßig Kinder darben zu lassen, das ist Schwarze Pädagogik in Reinkultur. (Und, um keine Missverständnisse auf kommen zu lassen: Ich trage niemandem etwas nach. Nur meinen Kinder hätte ich so etwas nie angetan.)

lg!
georg