Re: Geschottert-geschüttelt-gerührt: Savièse-Nice

von: Biotom

Re: Geschottert-geschüttelt-gerührt: Savièse-Nice - 23.12.21 20:55


Tag 10: Bonette-Nordrampe – Cime de la Bonette – Col de la Moutière – Col d'Anelle – Saint-Sauveur-sur-Tinée
Karte

So, langsam wird es Zeit ans Ende dieses Ausflugs zu denken: ich muss mich mit Musik dopen damit ich noch die Pässe hochkomme, ich bespreche die Route mit meinem Velo, und wenn ich abends im Zelt die Schuhe ausziehe und schnuppere weiss ich, dass ich mir ums Einschlafen keine Sorgen machen muss (ums wieder Aufwachen hingegen schon...).

Na denn, weiter Richtung Süden, zum Col de la Bonette. Auf der Karte ist eine Schotterpiste eingezeichnet, die viel länger scheint als die Passstrasse. Das muss ich mir anschauen!





Tatsächlich, da hat sich jemand viel Mühe gegeben eine Strasse mit ganz wenig Steigung anzulegen. Das habe ich S-charl auch gesehen, der Weg von der Bleimine runter zum Schmelzofen. Hier am Bonette wurde wohl verarbeitetes Metall in Form von Kanonen etc. hochgeschleppt, denn die Gegend war militärisch bedeutend.









Kleiner Wandereinsprengsel zum tatsächlich sehr grünen Lac Vert:







So, noch ein bisschen Werbung für "meine" Kanonenpiste – ich kann sie empfehlen!









Ab ca. 2400 m.ü.M. kann ich die reguläre Strasse nicht mehr vermeiden. Ich leide: dieser sinnlose motorisierte Verkehr omm Und diese paar fitten Velofahrer, welche mich brutal verheizen. Denn heute, Kinder, wollen meine Beine nichts geben…
Irgendwann bin ich auf dem Col de Restefond (nebenbei: die Piste rüber zum Col de Raspaillon ist für Velofahrer gesperrt), und dann schaffe ich es tatsächlich auch noch auf die Cime de de la Bonette.
Es ist die Hölle: Gestank und Gelärme und Getrampel. Und es ist der Himmel: diese Aussicht!

Die Ostabfahrt des Col de la Moutière und der Blick zurück nach Norden, zum Faux Col de Restefond:







Richtung Nordost. Ich mit meiner Wallisfixierung erkenne sogar das Matterhorn grins





Westen, Richtung Bayasse:





Und die Fortsetzung des Col de la Bonette, Richtung Vallée de la Tinée. Das lasse ich mal schön bleiben, schliesslich hat Verkehrsvermeidung bei mir immer hohe Priorität.





Ein Highlight der Cime: die Berardie! Ich zitiere mal Wikipedia: "Die extrem seltene Pflanzenart Berardia lanuginosa kommt als Endemit nur in den französischen und italienischen Alpen südlich des Mont Cenis vor. Sie gedeiht auf Kalkschutt in Höhenlagen von 1800 bis 2800 Metern. Es handelt sich dabei um eine Reliktpflanze aus der Entstehungszeit der Alpen."





Ich gebe mir ja immer Mühe, bei meinen Fotos die Landschaft und die Natur in den Vordergrund zu stellen. Hier aber doch mal noch ein Bildchen der Bonette’schen Realität:





Wie oben bereits angetönt fahre ich nicht über die Hauptstrasse ab, sondern über den teilgeschotterten Col de la Moutière. Dieser könnte auf der hier gezeigten Piste von der Nordrampe des Col de la Cayolle aus erreicht werden.





Unter dem Eindruck des Geschehens um die Cime de la Bonette frage ich mich mal wieder: vielleicht sind wir Menschen eben doch die besseren Esel?





Die Abfahrt ab dem Col de la Moutière würde das Prädikat "sehr geil" verdienen (geteert und mit ganz wenig Verkehr) – aber wieso "würde"? Öh, ich habe de facto nur noch die Vorderbremse… Hinten wollte ich heute Morgen die Pads wechseln, aber irgendwie konnte ich die Kolben nicht auf die Anfangsposition zurückdrücken. Also die alten Pads wieder rein…

Ich weiss, ich wiederhole mich, aber der Charakter der Berge ändert nach jedem Pass verliebt





Ich erreiche heil Saint-Dalmas-le-Salvage. Für meinen Geschmack eine Spur zu "chrachig" gelegen, aber trotzdem hübsch.







Und jetzt? Klarer Fall, nach dem Col de Péas gibt’s nochmals eine Fred Wright Tribute, denn er erwähnt in seinem Buch den unscheinbaren Col d’Anelle. Ufff, nach der Cime de la Bonette ist so ein Schotterpässchen der reinste Balsam für die Seele!







Ab Saint-Etienne-de-Tinée rausche ich der Tinée nach, bis Isola meistens sogar auf bestens ausgebauten Radwegen:







In Saint-Sauveur-sur-Tinée lege ich mich im Schatten des alten Dorfkerns kurz hin. Es ist heiss hier auf knapp 500 müM... Als ich erwache merke ich, dass ich ein Problem habe: die 60 km ans Meer würde ich heute noch so schaffen, aber ich will ja noch ein bisschen durch die Hügel – und in diesen Hügeln scheint alles ausgebucht. Auf Wildzelten habe ich hier unten nicht so Lust: Waldbrandgefahr, stotzig, Wildschweine, fleischfressende Pflanzen, etc...
Das Hotel in Saint-Sauveur ist voll, der Camping offiziell zu (aber inoffiziell benützbar), und im Gite d'Etape nehmen sie nur GR5-Wanderer. Ich erkläre dem Mann vom Proxi-Laden mein Problem. 2-3 Telefonate später bin ich im Gite d'Etape drin lach





Meine Lehre von dieser Tour: unbedingt mit den Leuten reden. Und da wir schon bei den Lehren sind: in Frankreich nie Pizza bestellen! Und immer genug WC-Papier dabeihaben träller

Im Gite laden mich junge GR5-Wanderer zu ihrem Essen ein – lecker.
Was mich bedrückt: Brouter sagt mir, dass mein bereits leicht entschärfter Plan für morgen 93 km und 2700 Hm umfasst. Bei dieser Hitze? Und mit meinen schlappen Beinen? Und mit meinem recht vollen Programm für Nizza? Die 60 flach-direkten km durchs Tinée- und Vartal finde ich auch doof, denn es gibt da noch so einen Ort in den Hügeln...
Ich stelle den inneren Wecker mal auf "früh".