Re: Geschottert-geschüttelt-gerührt: Savièse-Nice

von: Biotom

Re: Geschottert-geschüttelt-gerührt: Savièse-Nice - 23.12.21 20:43


Tag 3: Lago Serrù – Locana – Lago Pratofiorito – Rifugio Santa Pulenta
Karte

Die Parallelen zwischen dem Colle del Nivolet und dem Col du Sanetsch sind frappant: 2x sehr schöne Landschaft, 2x nur Wanderweg auf der Nordseite, 2x Strasse auf der Südseite wegen Staumauer, 2x relative tourtechnische Sinnlosigkeit wegen fehlender Südfortsetzung. Beim Nivolet ist letzteres besonders ausgeprägt, denn aus dem Valle d’Orco gibt es keinerlei Strassenpass rüber in die Lanzotäler. Muss man daher für südwärts wirklich raus in die Poebene, und ein Tal weiter südlich wieder rein in Berge? Das werde ich heute versuchen zu vermeiden.

Man kann’s nicht anders sagen: die Nacht war übel. Aber der Morgen macht einiges wieder wett:







Als Savièser fällt es mir schwer dies zu sagen, aber der Nivolet übertrifft den Sanetsch nicht nur bezüglich tourtechnischer Sinnlosigkeit, sondern auch bezüglich Schönheit der Landschaft und Tollheit der Abfahrt.







In Villa gönne ich mir ein zweites Frühstück, und den Umweg über das Südufer des Lago Ceresole gönne ich mir auch.





Die Tunnelumgehung zwischen Ceresole Reale und Noasca ist zwar offiziell (wegen Steinschlaggefahr?) gesperrt, aber die Radler scheint das nicht gross zu kümmern. Wieso auch, schliesslich fährt glaub auch der Giro jeweils aussenrum.
Jedenfalls fühlt man sich als Velofahrer am Nivolet willkommen: die Haarnadelkurven sind nummeriert, und der Giro wird zelebriert. Aber wirklich Platz hat es auf der Strasse nicht, und entsprechend möchte ich hier lieber nicht rauffahren…





Wo ich auch nicht rauffahren möchte ist an den Hängen des Valle d’Orco – hm, aber genau über diese Hänge führt mein heutiges Projekt… Ob das gutkommt?





Kurz vor Locana wird das Tal weiter und die Hänge milder, und ich schöpfe Hoffnung. Als mir die Frau vom Touristenbüro erklärt, dass der Colle della Paglia diesen Sommer frisch markiert wurde und auch schon Biker drüber seien, werde ich schon fast ein bisschen euphorisch: vielleicht finde ich heute die Lösung für das Problem des Nivolet.
Denn der Paglia scheint ein harter, aber machbarer Gravelpass zu sein: auf beiden Seiten hat's Alpstrassen, und dazwischen knapp 400 Hm Wanderweg. Und von Chialamberto im Val Grande könnte ich via Colle della Dieta nach Viù, und dort ist man ja schon fasst auf dem Colle del Colombardo und somit im Val Susa – wunderbar lach

Ich kaufe in einem dieser wunderbaren Dorfläden, wie es sie nur in Italien gibt, noch ordentlich zu Futtern, und dann geht es los.







Beim Rifugio Santa Pulenta gibt’s ein Stück Kuchen, was zu trinken und ein Nickerchen. Der Wirt meint, dass der Paglia schwierig sei. Hm...





He, aber so toll angeschrieben – das kann doch keine Hexerei sein!





Steil, steiler, italienische Alpstrassen lach









Den Lago Pratofiorito erreiche ich leicht – ein schöner Ort!





Aber dann kommt es knüppeldicht: der Wanderweg ist total zugewachsen und die Markierungen entsprechend unsichtbar. Und das über 400 Hm am späteren Nachmittag, alleine mit wenig bis keinem Handyempfang, und mit ca. 4 Stunden Schlaf in der letzten Nacht? Nein, das geht nicht für mich…





Im Nachhinein war das Scheitern am Paglia eines der besten Erlebnisse dieses Jahres. Ich bin zuvor nie umgekehrt auf einer Tour, seit dem Paglia weiss ich, dass ich recht vernünftig bin und wirklich umkehre, wenn es mir zu heikel ist. Ein befreiendes Gefühl! Und auf der Alternativroute den Übergang von den Bergen in die Ebene zu erleben war unglaublich, wie wir morgen sehen werden.





Aber im ersten Moment lecke ich am Lago noch ein bisschen meine Wunden. Ein lokaler Fischer tröstet mich und erklärt mir, dass der eine Scharte weiter östlich gelegene Colle Gavietta mit dem Velo mindestens ebenso übel sei wie der Paglia. Das Problem sei die fehlende Bestossung der Alpen, denn so wachsen alle Wege und Markierungen in horrendem Tempo zu. Die fehlende Bestossung ist eigentlich noch erstaunlich angesichts der gut ausgebauten Alpstrasse; wenn ich aber den Fischer richtig verstanden habe, ist der Wolf ein Problem.

Hier wäre er, der Gavietta:





Nach einem erfrischenden Bad stürze ich wieder zu Tale – yeah!





Ich gönne mir ein Zimmer im Rifugio Santa Pulenta. Ich überlege bis heute, ob mein Objektiv dermassen verzieht oder ob bei der Kapelle wirklich nicht alles mit rechten Winkeln zugeht schmunzel







Feines Essen und gute Freunde trösten mich über mein Scheitern hinweg.









Der Seniorwirt erzählt mir noch folgendes: seit 7 Jahren kämpft er dafür, dass der Colle Gavietta wieder hergerichtet wird, denn er weiss um die touristische Bedeutung eines einigermassen befahrbaren Südpasses. Diesen September sollte es Geld geben, im Oktober wurde (vielleicht?) gearbeitet.