Re: Mit dem Ordonnanzrad 05 vom Léman nach Zürich

von: Biotom

Re: Mit dem Ordonnanzrad 05 vom Léman nach Zürich - 21.04.21 21:23


Tag 1: Mont Pèlerin – Romont – Laupen – Bern – Burgdorf
115 km, 1396 Hm. Karte

Am Abend vor der Abfahrt pützerle ich das Velo noch ein bisschen, und vor allem pumpe ich es ordentlich. Dann ab ins Bett schmunzel
Um 4:00 erwache ich und gehe nach draussen, Luftcheck. Hrmpf: der Vorderreifen ist platt… Ich verzichte auf weitere Schlafversuche und mache mich an die Reparatur: da Dunlop probiere ich zuerst einen Ventilwechsel (zum Glück habe ich von einem Kindervelo noch einen alten kaputten Dunlop-Schlauch aufbewahrt), hilft nichts. Scheibenkleister: der Mechaniker hat zwei Stunden mit dem Aufziehen der neuen Wulstpneus verbracht – wie soll ich da mit meinen zwei linken Händen den Schlauch wechseln?

Nach der Demontage frage ich mich, was sich der Mechaniker überlegt hat, als er bei der Montage der neuen Pneus nicht auch gleich die Schläuche gewechselt hat wirr grins





Zum Glück ist mein Wintervelo ein 26er, so ist ein Ersatzschlauch vorhanden. Und oh Wunder, der Wulstpneu ist nach einer Viertelstunde montiert, mit weniger Buckeln als vor dem Platten. Ich muss sagen: an diesem Morgen wird mein Vertrauen in die Gilde der Velomechaniker (ein weiteres Mal…) erschüttert.


Frühstücken, Taschen anhängen, die Familie drücken, und los geht’s!





Ich radle nach Sion runter und nehme den Zug nach Vevey. Im Bähnchen auf den Mont Pèlerin treffen zwei Velogenerationen aufeinander:





Ich mag die Aussicht und den buddhistischen Tempel auf dem Mont Pèlerin:







Ein Freund im Kloster ist ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht lange schwatzen mag, aber ich will es jetzt endlich wissen: wie viel mehr als 10-15 km (die bisher längste Tour mit dem Velo) schaffe ich? Wie fit bin ich nach meiner Coronainfektion? Und wie verspannt bzw. zerschlagen werde ich nach ein paar Stunden sein? Der Freund meint, wenn ich es bis Fribourg schaffe, dann sei das schon ein echter Erfolg. Mal gucken schmunzel


Bereits nach ein paar Kilometern treffe ich ein armes Wesen, das auch sieben Leben nicht vor dem Tode gerettet haben. Ich informiere die Polizei und bringe eine kleine Opfergabe dar:





Ich bin sonst nicht so Villa, aber die würde ich glaub nehmen schmunzel





Kennt ihr das auch? Ihr plant mit dem Kopf eine Route, aber das Herz wählt dann anders. Daher: Tschüss an die Flüsse, ich nehme vorerst mal die Hügel! Entsprechend peile ich in Oron nicht Moudon und die Broye an, sondern Romont und La Crêta. Dass ich mich damit auf der Route des General-Guisan-Marsches befinde, ist ein schöner Zufall. Zur Erinnerung: Henri Guisan war von 1939 bis 1945 General der Schweizer Armee, also auch im Baujahr meines Gefährts.





Tourisme pédestre passt übrigens auch: die ersten grösseren Steigungen erfordern die ersten grösseren Schiebesessions… Aber mit der Schieberei verdiene ich mir letzte schöne Ausblicke ins Wallis…





…und eine herrliche Abfahrt nach Romont (sorry für das Notbild, aber ich mochte mich nicht den Hügel hochkämpfen schmunzel ):





Stundenlang tuckerle ich durchs Waadtländer und Freiburger Mittelland, stets Bedacht, einen guten Kompromiss aus wenig Verkehr, landschaftlicher Schönheit und Ein-Gang-kompatibler Topographie zu finden:







Kurz nach diesem Bild – ich befinde mich inzwischen auf der Höhe Fribrougs – frische ich bei einem Bauernhof meine Wasservorräte am Brunnen auf. Eine Frau sitzt vor dem Haus, und während ich mein Zmittag esse, erzählt sie mir ihr Leben.





Am Lac de Schiffenen erfreut mich das Wasser der Saane, welche in meiner Walliser Wohngemeinde entspringt:







Der Saane entlang…





…erreiche ich Laupen und somit den Kanton Bern:





Kurz überlege ich mir, wenigstens ab hier den Flüssen zu folgen, aber dann schiebe ich die 22.5 kg Stahl auf einen weiteren Höger und erblicke die Berner Alpen:





Es ist späterer Nachmittag, aber ich habe noch nicht genug: Bern ruft! Also purzle ich weiter über kleine Strässchen und Velowege…





…und erreiche schliesslich die Hauptstadt:





Ich kaufe mir ein Paar Velohandschuhe, denn erstaunlicherweise macht nicht der Rücken oder die Beine schlapp, sondern die Handnerven.
Und jetzt? Übernachtung in Bern? Ich habe die Stadt während des Studiums zur Genüge kennengelernt, und vor allem habe ich noch Lust auf Fahren, daher rufe ich in der Jugi in Burgdorf an: wunderbar, sie haben noch ein Zimmer frei, und vielleicht kann ich sogar dort essen!


Irgendwo nach Schönbühl macht sich eine gewisse Hinüberkeit bemerkbar, aber was soll’s, pedalen-pedalen-pedalen schmunzel





Ich gerate dermassen in einen flashigen Flow, dass ich meine übliche Grantigkeit gegenüber Automobilisten vergesse, und prompt habe ich beim Weg-Erfragen eine herrlich spassige Begegnung mit einem Amischlittenrfahrer. Er erklärt mir den einfachsten Weg nach Burgdorf, und beim Weiterfahren nehme ich ihm elegant den Vortritt, was er mit einem Lachen quittiert. Tja, wenn sich Oldtimer treffen, lacht die Sonne lach

Ich bin dann schon ziemlich froh, als ich nach 115 km und 1400 Hm in der Jugi ankomme (fieser- und schönerweise ist die Jugi im Schloss integriert, welches natürlich auf dem Schlosshügel liegt).




Zum Glück komme ich noch gerade rechtzeitig für das leckere Znacht. Ich haue ordentlich rein und ziehe mich danach in mein Sechserzimmer zurück, für welches mir die Rezeptionistin netterweise eine Einzelbelegung garantiert hat.

So, Schlafenszeit schmunzel