Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier

von: veloträumer

Re: Wo’s Wassr koschdbar isch - Alb-Donau-Kurier - 04.02.19 00:18

ALB-2011-09 Laichinger Alb – Roggental – Albuch – Schwäbisch Gmünd

Sa 10.9. Stuttgart – Leinfelden – Waldenbuch – Pfrondorf – Kirchentellinsfurt – Reutlingen – Eningen – Würtingen – Gächingen – Münsingen – Magolsheim – Laichingen (+)
121 km | 1450 Hm

So 11.9. Laichingen (+) – Geislingen – Böhmenkirch – Heubach – Schwäbisch Gmünd – Schorndorf – Schlichten – Winterbach – Baltmannsweiler – Weinstadt – Fellbach – Stuttgart
132 km | 1140 Hm

Das ursprüngliche Ziel der Tour war eigentlich Zwiefalten mit seiner bekannten Brauerei, wo ich mir entsprechend einladende Gasthöfe erwartete. Im Gefecht mit der nicht durchdachten Route und meinem Badepausenbedarf schnürte sich das Zeitfenster immer enger zusammen, dass ich irgendwann auf der Albhochfläche für Zwiefalten für unerreichbar erklären musste. So drehte ich den Tourgedanken und blieb auf der Albfläche, fand in Laichingen immerhin einen guten Italiener mit durchaus schickem Interieur – dem Klischee nach eher untypisch für einen Gasthof auf der Alb. Auch hier dreht sich halt die Zeit weiter, so muss ich mein Bild im Angesicht der mächtigen Windräder auf der Albhöhe korrigieren. An der Feldeinsamkeit der Nacht hallten doch mehr Autos vorbei, als man vermuten durfte – auch hier dreht sich die Zeit weiter, die den Geschwindigkeitswahn vom ländlichen Machismo nicht ausblenden will. Manchmal sind aber auch moderne Zeiten nicht Aufbruch sondern Sackgasse, weil bereits noch modernere Zeiten warten. Die Geschwindigkeit ist ja ein solches Verirren von Zeit, von dem, was Zeit bedeutet. Mit jeder Beschleunigung verliert der Wert der Zeit, der ihr inne wohnt, der Wert einer Verweildauer, die noch Gedanken und Fantasie entfalten lässt. Die nächste Zukunftszeit braucht mehr Zeit ohne Zukunftsversprechen – mehr zeitlose Zeit.

Die Alb nun näher dem Abgleiten zur Fils hinunter, schmeichelt hier in grünen Wiesenwogen dem Blick der Morgenröte, die sich in der gereiften Apfelfrucht spiegelt – oder ist es die Morgenfrische, die ihm rote Wangen verleiht? Der schönste Apfel hier ist aber der faule, wer hätte es gedacht? Wie kann das sein? – Vielleicht, weil Faulheit eine bessere Tugend ist, als ihr von der digital zeitvermessenen Postmoderne unterstellt wird? Der Apfel weiß die Antwort nicht, er bleibt so wie er ist – schokoladig faul mit weißen Ehrenpilzen.

In Geislingen sehne ich mich nach dem Backgeruch, der Radreisemorgende so festlich macht. Ich muss an den Morgen in Pistoia denken, dieser Duft nach einer Nacht, in der ich nicht schlief und eine Dauergespräch mit einem geduldeten, aber illegalen albanischen Obsthändler führte. Dann war da die Kaffeebar eines Radsportfreundes noch weit unterhalb des Passes mit dem eindringlichen italienischen Kaffeegeruch. Er hält nun schon fast 10 Jahre in meiner Nase (ich darf hier sagen, es sind mittlerweile noch mehr Jahre). Der Geruch des frisch gebackenen Brotes hingegen kam aus dem Tal darunter, am Rande der Stadt und schwängerte die Luft bis hin zur Kaffeebar. Solche Düfte habe ich viele gesammelt. Könnte man sie veröffentlichen, wären es Container voll von Riechkammern. Nie habe ich darüber nachgedacht, ob Frühstück ohne Duft auch so gut schmecken würde? Macht der Hunger die Nase empfindlicher?

Dem Elefantenbrunnen hat es die Spucke verschlagen – kein Tropfen! Die Fische drin tragen Schnauzbart und rauchen Pfeife und sitzen auf dem Trockenen. Ich sagte es ja bereits mit dem Titel: Hier isch s‘ Wassr koschdbar. In Geislingen, am Nordweststau der Alb gelegen, eine Fünftälerstadt, das alte Fachwerkgebälk unter ins Wasser hängenden Weiden verschleiert – hier spart man das Brunnenwasser! Der Wassermann ist schockiert und zieht weiter – zur Brunnengeschichte von Eybach. Da erfährt man, wer das Wasser von Geislingen geklaut hat. Der dortige Adlerbrunnen aus dem 19. Jahrhundert stand mal in der Geislinger Hauptstraße, Graf Ferdinand von Degenfeld spendete den Brunnen der Gemeinde Eybach weiter taleinwärts. Dort musste er nochmal weichen – für wen? Na klar, für eine Autostraße. Aber in Eybach schätze man den Brunnen doch so sehr, dass er heute einen dekorativen Platz bekam. Aber Wasser? – Nein, auch hier wird gespart, was nur wenig nebenan fließt und fließt und Fischreiher begeistert, weil da ihr Frühstück drin wartet.

Die Eyb fließt durchs Roggental – das verstehe wer will. Bei der Roggenmühle kann man bei einer Verzweigung wählen – Böhmenkirch, an den oberen Felsen vorbei, oder Treffelhausen, unten an der Eyb entlang, ein Stück feuchter und schattiger. Treffelhausen das nächste Mal, ich wähle Böhmenkirch. Bald wird es sommerheiß, die Alb offen mit Weizenfeldern, weit oben ein Sendeturm. Dann ist auch schon Afrika da: Der Lindenhof hält eine Straußenfarm! Wo es eine Bärenhöhle gibt, Kamele in Westerheim oder gar Dinosaurier – die waren mir mal in Reutlingen begegnet und leben ständig in Holzmaden – da ist auch Platz für Straußengefieder. Mit mir wissen sie aber nicht so recht was anzufangen, Radfahrer – sind das Straußenfreunde? – Also ja, ein Ei würde ich mal gern probieren und ein Straußensteaks vielleicht dazu. Freundschaft geht durch den Magen. Zum Glück können die Laufvögel nicht meine Gedanken lesen, wir sind ja zu unterschiedlich in der Fortbewegung.

Böhmenkirch feiert die Feldfrüchte und die Arbeit drumrum: Traktorenparade und Kartoffelkunde. Ein Sack Kartoffel ist fürs Radl zu schwer. Bei der Hitze ohnehin. Ich überlegte noch die Runde auszubeulen zum Brenztopf. Das hatte ich wohl mir am Morgen noch so ausgedacht. Falsch gedacht. Ich möchte an einen Badesee. Aber der ist weit. Erst mal ab nach Heubach. Burgruine oben, im Fels darunter scheint ein Kiosk kühn zu hängen. Wie kommt man dahin? Sieht aus wie einst der Kiosk, den mal Kurt Felix am Matterhorn installieren ließ, um Reinhold Messner bei all seiner Empörung abzuholen und hinters Licht des Humors zu führen. Doch wohl zeigt sich mit Tele, es ist nur eine Art Plakat, was im Felsen hängt. Also keine versteckte Kamera oder mitnichten ein luftiger Felsumtrunk.

Bin im Remstal angelangt, Sommer pur mit Sandstrand. Sandstrand? – Ohne Wasser, wir wissen es mittlerweile, wird gespart, weil ‘s was koschda. Also Sand und Plastikpalmen mitten auf der Piazza von Schwäbisch Gmünd, die Kinder freuts, ansonsten aber irgendwie gaga. Piazza schreib‘ ich nicht ohne Grund – ein Lebeplatz wie im lebendigsten Italien. Sommersonntag, die Geschäfte für die Durstlöcherlokale könnten nicht besser laufen. Die Stadt bietet einiges, ist ja eine alte Stauferstadt. So prall dekoriert hatte ich sie nicht mehr in Erinnerung – auch eher flüchtig die Besuche zuvor. Viele Brunnen lassen hier nackte Figuren tanzen. Das läge mir jetzt auch nahe. Hübsch das Rokokoschlösschen, markant der Fünfköpflesturm, ein alter Wehrturm, der auch mal in jüngerer Zeit Wohnhaus sein durfte.

Mehr Kultur ward jetzt aber nicht. Die Durststrecke an der Rems ist mir lästig, aber nur so kann ich es noch ohne Zug bis daheim schaffen, Badepause mit eingerechnet. Ich denke, so ungeplant ist auch nicht gut, die zweite Tageshälfte ist dann nur noch ein Pflichtprogramm mit wenig Reiz und schlechter Aufteilung. Gar so schlecht war es aber auch nicht, ohne den Abschwung ins Lautertal gewiss ein wenig zu lange auf der langweiligeren Laichinger Albhöhe. Besonders gut gefallen konnte das Roggental, gewiss mir nicht ganz neu, und auch die Nordseite des Albuchs. Manche Orte hätten mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, allen voran Schwäbisch Gmünd. Der See wartete noch in Plüderhausen und ist ferien- und witterungsgemäß voll belagert. Die Alb liegt nun hinter mir, nur die Schurwaldhöhe noch vor mir, mehr als eine Hebung schaffe ich nicht mehr, da sich die Sonne hinter den Horizont senkt.

Bildergalerie Tour ALB-2011-09 (50 Fotos, bitte auf Bild klicken; Fotostrecke nur vom 2. Tag!):



Fortsetzung folgt