Re: Quer durch Süditalien - Neapel bis Salento

von: -Toast-

Re: Quer durch Süditalien - Neapel bis Salento - 18.01.16 23:21


Mittwoch, 03.12.2014: Gioia del Colle – Alberobello

Am Stadtrand ließ es sich gut zelten, nur Schuhe und Socken wurden im Morgentau ziemlich nass. Und jetzt: Auf nach Alberobello! Dieser Ort war zusammen mit Matera DER Grund, warum ich um diese Jahreszeit nochmal quer über die Apenninen wollte.



Wisst ihr, welches Wetter so richtig beschissen kommt beim Radeln? Natürlich.
Heftiger Regen + heftiger Wind ohne Unterstand weit und breit, und zwar so urplötzlich, dass man sich keinen Regenschutz mehr überziehen brauch, da man eh schon klitschnass ist. Das laute Prasseln des Regens erstickt mein wüstes Gefluche und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, bis es vorbei ist. Auf dem Gepäckträger hatte ich noch meine Halbschuhe und Socken zum Trocknen, aber jetzt sind die genauso nass wie die Sandalen an meinen Füßen. Nur gut, dass wenigstens die Wechselsachen in den Ortliebs trocken bleiben...
Nachdem das Schlimmste überstanden ist, gibt's noch ein Erinnerungsfoto und weiter geht's. Bin ja bald da.

Das besondere an Alberobello ist seine Architektur. Die kleinen, weißen Trulli-Häuser mit ihren Kegeldächern gibt es nur hier und ganz wenige Kilometer im Umland... aber ich finde sie toll. Sie wirken so einladend und ganz anders als alles, was man sonst in Italien zu sehen bekommt. Schon als ich das erste Mal ein Bild gesehen hatte, war ich begeistert und wollte hier hin. Inzwischen gibt es natürlich auch noch einige "normale" Häuser, aber sie fügen sich mit ihren schneeweißen Fassaden ganz gut ein ins Bild. Im Sommer ist der kleine Ort wohl voller Touristen, aber um diese Jahreszeit geht's.













Äh, ja. Nach dem abendlichen Einkauf fällt mir an der Fassade des Supermarktes dieses Gitter auf, aus dem mollig warme Luft gepustet kommt. Ich nutze die Gelegenheit, um während dem Essen meine immer noch nassen Socken und Sandalen zu trocknen.
Die abendliche Schlafplatzsuche ist von großem Erfolg gekrönt: Ich kann in einem Trullo schlafen! Ein verlassener, aber es steht noch eine alte Liege drin. Schlafsack drauf, wunderbar!

Donnerstag, 04.12.2014: Alberobello


Der Schlaftrullo am nächsten Morgen.

Pause. Heute bleibe ich hier in Alberobello und besorge Weihnachtsgeschenke für die Familie. Ich werde um die Zeit auf Sizilien sein, aber ein Paket mit ein paar Freuden möchte ich schon heimschicken. Ein Postamt konnte ich dank Werbeplakat schnell ausfindig machen. Die Einzelheiten erspar ich euch jetzt mal; regionale und nationale Spezialitäten nach jeweiligen Vorlieben ausgesucht. Ein paar Andenken für mich selbst steck ich auch noch ins Paket, um das Gepäck zu erleichtern. Eintrittskarten, Lavabrocken vom Vesuv, so Zeug halt. Versand ist zwar recht teuer von Italien aus, aber der Postmann schenkt mir ein Kilo, einfach so. Cool...




Tolle Salumeria.

Abends sitze ich auf einer Bank in der Fußgängerzone, denn neben ihr befindet sich eine Steckdose. Mal wieder die Gerätschaften aufladen... Nach einer Weile parkt ein Auto, jemand in meinem Alter steigt aus und kommt auf mich zu. Ei, gibt's jetzt Ärger? Ist das etwa sein Strom?
"Hi, where are you from?", fragt er mit einem breiten Lächeln. Die Steckdose gehört tatsächlich zu ihm, aber das interessiert ihn gar nicht, er will stattdessen mehr über meine Reise wissen. Ich sei wohl der erste Radwanderer, den er hier je gesehen hat. Das meinten gestern auch schon einige andere. Ich kann mir das kaum vorstellen, sollte ich tatsächlich noch "unerforschtes" Territorium befahren haben? Oder waren die anderen nur zu schnell und unauffällig?
Luca, so sein Name, sagt, ich könne gern im benachbarten Trullo mein Fahrrad abstellen und dort übernachten. Drin wird gerade renoviert, es ist also genug Platz. Dann meint er noch, ich solle doch mit auf einen Kaffee in seine Wohnung kommen. Klar, warum nicht? Kaffee gibt es dann zwar keinen, aber dafür leckeres Abendessen! Er hat noch ein paar Reste da, ich soll alles kosten und aufessen. Wusstet ihr, dass die Italiener ihren Parmesan auch auf die Suppe kippen? Ist sogar ziemlich lecker.



Luca wohnt hier zusammen mit seinen Großeltern und seinen beiden Schwestern. Besonders die jüngste will ganz viel über mich wissen und stellt eine Frage nach der anderen. Ihr Opa, der aus Südtirol stammt und noch deutsch kann, übersetzt.
Schließlich meint Luca: "You know what? I want you to stay in our hotel tonight."
Woah. Das wird ja immer besser! Die Familie besitzt tatsächlich ein Hotel und ich soll für Lau dort schlafen.
Alberobello bekommt von mir 5 Sterne, bester Ort überhaupt.
Er fährt mich zum Hotel und gibt dem Personal kurz bescheid. Nun sitze ich also plötlzich hier, in einem Hotelzimmer. Einfach so. Duschen, Socken waschen, Internet, Strom! Wooohooo!


Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr.

Freitag, 05.12.2014: Alberobello – Brindisi
Frühstücksbuffet im Hotel! Ich liebe Buffets. Zumal ich nirgendwo anstehen muss, neben mir sehe ich nur noch einen anderen Gast.
Schließlich gebe ich den Schlüssel ab und laufe zu Lucas Haus, hallo und danke sagen sowie mein Fahrrad holen. Tolles Wetter heute!













Luca fragt, was meine Pläne für heute sind. Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, noch schnell im Salento und mindestens in Lecce vorbeizuschauen, bevor ich über Kalabrien nach Sizilien fahre... und er meint, das würde sich durchaus lohnen. Notfalls könne ich aber ruhig noch bleiben. Und wenn ich irgendwann mal wieder in der Gegend bin, soll ich bescheid sagen. Ich hätte hier immer einen Platz, meint er. "You can stay in my Trulli!" Etwas Schöneres könnte man kaum zu mir sagen.
Trulli <3
Trotzdem mache ich mich wieder auf den Weg. Als ich nach ein paar Kilometern das Trulli-Land verlasse, geht es in eine Küstenebene voller Olivenbäume. Auf nach Süden...







Bei Vollmond lege ich gern mal eine Nachtfahrt ein. Na ja, 19 Uhr ist jetzt nicht wirklich Nacht, aber im Dezember wirkt's halt so.
Wenn ich nach links schaue, sehe ich es am Horizont die ganze Zeit blitzen... dort drüben auf der anderen Seite vom Meer dürfte Albanien sein. Hier über Apulien ist aber Himmel aber sternklar.
Als ich in Brindisi eintreffe, höre ich lautes, rhytmisches Getrommel: Natürlich folge ich dem Klang, man ist ja neugierig. Schließlich finde ich ein paar Fahnenschwinger beim Training.



So eine Fahnenschwingeraufführung besteht aus mehreren Leuten, die in Formation eine Choreografie aus Schwingen und Jonglieren aufführen, alles zu rhytmischer Trommel- und Fanfarenmusik. Wenn man es mit Profis zu tun hat, ist das ein wirklich toller Anblick. Wie ein sich bewegendes Mandala mit Leuten... Einmal habe ich sowas schon mal gesehen: Bei der Parade vor dem Lebendschachturnier von Marostica im September. Das war im Norden nahe Venedig, aber solche Vereine gibt es wohl überall.

Samstag, 06.12.2014: Über Lecce nach Torre dell' Orso
Nach ein paar Kilometern zügigem Radeln erreiche ich schließlich gegen Mittag Lecce, die Barockstadt im Absatz des italienischen Stiefels.
Es ist eine recht wohlhabende Stadt, die fast eher mittelitalienisch wirkt. Mit rund 90.000 Einwohnern ist sie größenmäßig noch recht überschaubar und die Bevölkerung ist jung: Circa ein Viertel der Leute, die hier rumrennen, sind Studenten der Universität. Ich nehme mir ein wenig Zeit, um mich umzusehen...













Der große Platz im Zentrum wird gerade groß weihnachtlich dekoriert. Daneben sind einige Verkaufsstände hergerichtet, die unheimlich teure, aber sicher auch unheimlich leckere Schokolade in allen Variationen an den Mann bringen wollen.

Den Nachmittag fahre ich noch weiter in Richtung Südosten, bis ich wieder die Küste erreiche.




Olivenernte: Netze auslegen und warten, bis die Dinger runterfallen. Genial, oder?.



Gelegentlich blitzt es wieder am Horizont über Albanien, während die Nacht über mir sternklar ist. Hier, am östlichsten Punkt meiner Reise, hatte ich den frühesten Sonnenuntergang überhaupt. Ab morgen wird er wieder etwas später sein, da ich nun Kehrt mache, den Salento Richtung Westen durchquere und schließlich weiter nach Kalabrien und Sizilien fahre.

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Blick am nächsten Morgen:




Dezember!

Im Anschluss geht es durch den griechischsprachigen Teil des Salentos; einer Landschaft so grün, dass der Kontrast zum trostlosen Gebirge von letzter Woche kaum größer sein könnte... Aber dieser Reisebericht soll nun an dieser Stelle zu Ende sein.
Habe fertig!

Ich hoffe, es hat dem einen oder anderen gefallen und nicht gleich alle mit dem ausufernden Umfang verscheucht. :3
Anregungen, Tips und Fragen sind natürlich immer gern gesehen.

Quer durch Süditalien und ganz viel erlebt. Kann die Gegend auf jeden Fall wärmstens weiterempfehlen; besonders die Amalfiküste und das Gebiet östlich des Gebirges. Gerade die zwei Highlights Alberobello und Matera sind ja letztendlich nur einen Tag diszipliniertes Radeln voneinander entfernt.

Gruß,
Stefan