Re: Radiusköpfchenfraktur - Tipps von Betroffenen?

von: BaB

Re: Radiusköpfchenfraktur - Tipps von Betroffenen? - 28.11.22 22:01

In Antwort auf: Fricka
In meiner Reha war die Frage, ob sich ein Prozess lohnt oder nicht, häufiges Gesprächsthema. Niemand dort hatte damit Erfolg gehabt. Im Endeffekt gibt es meist einen Vergleich. Und danach kann man das Geld, das man bekommt, für den eigenen Anwalt und den Anteil an den Prozesskosten bezahlen. Außer Spesen also sozusagen "nichts gewesen".
Ich hatte vorher von einer Freundin geschrieben, die zwei Brüche im Ellenbogen hatte, wobei der größere, prominente Bruch bei den beiden ersten OPs übersehen wurde. Sie hat mir netterweise einmal ihre Geschichte zusammengefasst und ich darf sie mit ihrer Zustimmung hier veröffentlichen. Mit Sicherheit interessant für diejenigen, die auch Behandlungsfehler erlebt haben und überlegen, ob sie den Rechtsweg einschlagen wollen oder nicht.

"Bei mir war es so:

In kurz:
- an Krankenkasse (KK) gewandt wegen "Verdacht auf Behandlungsfehler"
- kostenloses Gutachten durch den MDK, teilweise Bestätigung des Behandlungsfehler
- an Rechtsanwalt (RA) gewandt, Schlichtungsverfahren durchgezogen (2. Gutachten)
- vor nächstem Schritt (Klage vor Gericht) ausgestiegen

In lang:
Ich hatte mich zuerst an die KK gewandt, wegen Verdacht auf Behandlungsfehler. Das zog dann einiges an Schriftverkehr und Rennerei nach sich, um alle erforderlichen Unterlagen für das Gutachten des MDK zusammenzubekommen (Patientenakten aus Klinik und ambulanter Nachversorgung, alle Untersuchungsergebnisse von Röntgen, CT etc...), welches dann die KK in Auftrag gegeben hat. Das Gutachten hat den Behandlungsfehler bestätigt, allerdings nur für die erste OP.

Daraufhin haben wir die Rechtsschutzversicherung kontaktiert, ob sie die Kosten für einen Anwalt übernehmen (haben sie). Wenn ich mich recht entsinne, ist das Erstgespräch zur Beratung auch sowieso kostenfrei gewesen.

Letztendlich habe ich mir eine Fachanwältin für Medizinrecht gesucht (2019, 2 Jahre nach Unfall bzw Fehlbehandlung, Frist ist 3 Jahre) und mich von ihr jeweils über die nächsten Schritte beraten lassen. Wir sind dann ins sog. Schlichtungsverfahren gegangen, was ein weiteres unabhängiges Gutachten nach sich zog. Ich habe jedoch bei beiden Gutachten (MDK und dieses) immer wieder mal Fehler gefunden, so daß ich insgesamt etwas enttäuscht über die Sorgfalt war. Insgesamt hat es sich ausgezahlt, dass ich mir von Anfang an immer Notizen gemacht hatte, was wann passiert ist und wer was wann gesagt hatte, selber im Thema also gut drin steckte. Es ist also mit einem gewissen Zeit- und Eigenaufwand zu rechnen, und es zieht sich auch lang hin. Mir war es trotzdem wichtig, um der Klinik gegenüber wenigstens zu signalisieren: "Hej, das war mitnichten alles schick" (mit den Worten wurde ich ja entlassen). Letztendlich haben wir trotzdem nur OP 1 als Behandlungsfehler durchgeboxt bekommen, bei OP 2 hat man sich sehr quergestellt (Ich als Laie pflege trotzdem weiterhin meine persönliche Meinung, dass es auch hier an Sorgfaltspflicht gemangelt hat. Das hinterlässt halt ein schales Gefühl. Recht haben (gefühlt) und beweisen können sind halt unterschiedliche Dinge). Im Gegenzug hat die RA noch ein paar Ungereimtheiten und unvollständige Dokumentation bei der Behandlung zur Infektionsprophylaxe gefunden und "ersatzweise" darauf rumgeritten. (Damit will ich nur sagen, dass dieses Thema nicht mein persönlicher Hauptfokus war, sondern ich hauptsächlich mit OP Nr. 1 UND Nr. 2 unzufrieden war, jedoch haben wir hier auf Granit gebissen...)

Im Endeffekt kam es als Ergebnis des Schlichtungsverfahrens zu einer finanziellen Forderung, mit der die RA in die Verhandlung gegangen ist. Entgegen üblicher Praxis kam die Klinik nach einem ersten Angebot uns im weiteren Verhandlungsverlauf nicht weiter entgegen, wodurch am Ende die finanzielle Entschädigung deutlich unter unseren Erwartungen lag (ca. 50%).

Der nächste Schritt aber wäre eine Klage und der Weg über das Gericht gewesen. Das hätte jedoch bedeutet, das alles nochmal von vorn aufgerollt wird, mit ungewissem Ausgang. Wenn es blöd läuft, kann das für den Betroffenen sogar mit schlechterem Ergebnis als aus dem Schlichtungsverfahren enden (wurde mir erklärt). Wir haben uns also dagegen entschieden und das nicht sehr üppige Angebot aus dem Schlichtungsverfahren akzeptiert. Es bedeutet aber auch, dass in Zukunft jegliche Ansprüche aus dem Behandlungsfehler abgegolten sind!!! D.h. die Klinik ist jetzt aus der Geschichte für immer raus! Allerdings... wenn man realistisch bleibt, ist es sowieso unwahrscheinlich, weitere Folgeschäden (Arthrose etc) als Folge der Fehlbehandlung durchgesetzt zu bekommen... insofern sind diese Überlegungen wahrscheinlich meist nur eher thèoretischer Natur.

Fazit bezüglich der Behandlung selber:
Man kann quasi nie genug Meinungen einholen und Ärzte konsultieren (Ich habe auch mal extra Geld für ein weiteres Beratungsgespräch hingeblättert, das hätte die KK sogar übernommen -> also vorher nochmal bei der KK nachhaken, die haben z.T. auch noch einen eigenen Ärztepool, der für Beratungen unabhängig zur Verfügung steht). Jeder wird was anderes sagen, aber jedes Gespräch bringt einem meist zumindest ein weiteres Puzzlestück, um sich am Ende selbst ein Bild machen zu können. Und am Ende ist auch der PATIENT selbst derjenige mit dem größten Interesse an einem guten Ergebnis, denn ER/SIE wird in Zukunft damit leben, nicht die behandelnden Ärzte und Gutachter... die gehen nach der Arbeit in den Feierabend, der Ellenbogen nicht.

Fazit Vorgehen wegen Behandlungsfehler:
Man hat Zeitaufwand und Rennerei, aber es hilft, wenn man sich frühzeitig Notizen gemacht hat. Übermäßig schlimm fand ich es nicht. Es zieht sich halt nur einfach ewig hin (bei mir 3 Jahre von MDK Gutachten bis Abschluss des Schlichtungsverfahrens in diesem Sommer). .
Es ist etwas desilliusonierend, weil man feststellen wird, dass man der/die Einzige ist, die vollständig durchblickt, was wann passiert ist. (Meine Physiotherapeutin hat mir mal gesagt, ich wäre jetzt DIE Expertin für meinen Ellenbogen.)
Man muss auch damit rechnen, dass die Gegenseite mit nicht korrekten Behauptungen versucht, einem den Wind aus den Segeln zu nehmen, quasi Gegenangriff, das kann für schwach besaitete Gemüter auch nochmal recht belastend sein (und kommt laut Aussage der RA auch nicht selten vor).
Ich würde es trotzdem wieder so machen, einfach um nicht alles einfach so und klaglos hinzunehmen!

Im Übrigen habe ich sehr lange ganz offiziell Physiotherapie verschrieben bekommen, es gibt da schon Möglichkeiten, dass einem dass über die üblichen 6 Termine hinaus verschrieben wird. Insgesamt hatte ich etwa 150 Sitzungen! Wobei ich ja auch nach jeder OP quasi von vorn angefangen habe... Jedenfalls hätte ich es ohne professionelle Hilfe niemals zu allein zu diesem Ergebnis (Streckung des Arms) geschafft, und wenn ich noch so viel allein geübt hätte. Dafür bin ich sehr dankbar. "