Re: Portugal: Mit dem MTB auf der Via Algarviana

von: haegar

Re: Portugal: Mit dem MTB auf der Via Algarviana - 02.04.18 16:14

28.02. Vaqueiros - Salir: Sinnflut …oder Es ist so wichtig für das Land!
55,9 km - 4:57 - 1.135Hm

Der Via Algarviana Guide schreibt
Zitat:
During this day you will ride in the Serra do Caldeirão (Caldeirão Montain), and you will easily realize that, with the climbs and steep downhill slopes that make this one of the most demanding days physically and technically

oder mit anderen Worten …es wird ernst :bg:

Das erste was ich noch vor dem Wecker wahrnehmen ist das Plätschern des Wassers und es ist NICHT die Dusche von den Niederländerinnen im Nachbarhaus, es ist der Regen auf dem Dach :ignore: Dafür habe ich ausgesprochen gut geschlafen, ein Radiator ist doch unschlagbar leise, wenn es um das Heizen in der Nacht geht lach

Ich entscheide mich schon jetzt die neue SealSkinz MTB-Socken einzuweihen und gehe die paar Meter zum Restaurant, es giesst aus allen Küblen schockiert

Das Frühstück ist …üppig und gegessen wird, was auf den Tisch kommt grins wir einigen uns darauf, dass ich mir Brote von dem, was ich nicht schaffe schmieren darf lach ... die Niederländerinnen haben Lunchpakete bestellt, dürfte schwierig werden, DIE Pakete in die ca. 30l Rucksäcke zu bekommen wirr Meine Abreise verzögert sich noch ein wenig, weil nachdem sie sich auf den ersten hundert Metern bereits 2x verlaufen hatten, von der Wirtin persönlich zum Ortsausgang geleitet werden.

In der Wartezeit bekomme ich bereits 2x zu hören, wie gut und wichtig doch dieser Regen ist, nach Monaten der Trockenzeit braucht das ganze Land das Wasser. So sehr ich das verstehen kann, auf einen Tag mehr oder weniger wäre es doch nun wirklich nicht angekommen unsicher Zwei Herren aus einem sichtlich demolierten Geländewagen, aus der Zeit lange bevor es SUVs gab, versuchen mir klar zu machen, dass es heute KEINE gute Wahl sei, NICHT die Strasse zu nehmen.

Ich starte also auf der Via Algarviana, logisch entsetzt

Meine Sony RX100M2 habe ich vorsichtshalber im Rucksack verstaut, sie soll zwar spritzwassergeschützt sein, aber bereits gestern wirkte sie eher triefnass in dem aussen Case am Rucksackgurt. Bilder gibt es also heute eher weniger, so richtig Lust anzuhalten habe ich gerade auch nicht. Noch halte ich halbwegs die Temperaturbalance unter der Regenjacke, auch wenn die Anstiege schon den Schweiss auf die Stirn treiben.



Eigentlich hatte ich ja eine Orgie aus Schlamm und Matsch befürchtet, aber die blieb überwiegend aus. Trotzdem stelle ich fest, dass ein 2.4er Maxxis Ardent zu dick, eigentlich zu hoch, für meinen Hinterbau ist, wenn dick Lehm und Sand dran klebt. Als erste Maßnahme entferne ich den unteren Kletthalter der Rahmentasche, das Schleifen wird zum Glück weniger, trotzdem muss ich hier und da erstmal den Reifen etwas säubern.

Die Anstiege sind noch mal spürbar steiler, als in den letzten beiden Tagen und ich bereue das erste Mal, das runde 30er KB drauf gelassen zu haben und nicht auf das AllBlack 28er oval gewechselt zu haben. Vor der Alpentour hielt ich es noch für Marketing, aber insbesondere wenn man (= ich) sich mit so 4-6km/h einen erdigen Weg / Pfad / ... hochkämpft ist die Traktion deutlich besser mit dem ovalen KB, weil die Kraft gleichmässiger übertragen wird. Auch die 2 Zähne weniger hätten etwas Entspannung bedeutet, SO ist es für mich noch fahrbar und die Hügel sind auch nicht so hoch, aber der Unterschied ist spürbar. Btw. auf der anderen Seite finde ich den Preis dafür, dass man im Flachen einfach nicht so rund tritt und damit deutlich an Geschwindigkeit einbüßt, das soll auch alles ganz anders sein, bei mir ist es das nicht. Daher auch die Wahl des Kettenblattes für die Tour.

Bei einem der nächsten Anstiege muss ich mich dann geschlagen geben, der Reifen hat einfach gar keine Traktion mehr. Der Boden ist nicht wirklich matschig, sondern die obersten 10-20cm des Weges sind komplett durchweichter Sand, Kiesel, Schotter, …ohne das da noch wirklich Wasser draus steht. Es ist nur unglaublich bröselig, je feuchter, desto schlimmer. Während ich im Normalfall (= u. a. Alpentour) ungefähr fahrend und schieben gleich schnell bin bei ca. 4-5km/h, kämpfe ich mich hier tlw. mit unter 3km/h den Hang hoch, 2 Schritte vor, einen zurück rutschend.

Oben, Pause, Luft holen, trinken …der Regen hat nachgelassen, der Wind hat dafür deutlich aufgefrischt, spassig ist das so auch nicht. Dafür sieht es nun so richtig nach MTB aus cool genau so steil bergab, der Weg erinnert eher an ein grobes Bachbett und auch wenn ich noch mal nachschaue, der Wegweise zeigt genau dort runter. Also kontrolliert, ob die Gabel offen ist, den Sattel runter gestellt und los geht es … hier ist noch mehr Wasser als bisher, nach wenigen Metern sieht der Weg nicht nur wie ein Bachbett aus, sondern es ist ein Bach schockiert

Bremsen stellt sich als eher ungeschickt heraus, ein wenig Abbremsen geht tlw. noch, aber mehr auch nicht. Statt das Rad zu verzögern, fängt irgendwann an, der ganzen Boden um die Reifen herum sich zu bewegen und es wirkt eher nach Schlammlawine krank ... der einzige Trost, hier ist zum Glück nix ausgesetzt, links und recht viele dornige Büsche. Bei den nächsten Abfahrten bin ich dann zurecht vorsichtiger.


DAMIT könnte man ausreichen Rotwein für die nächsten Jahre verkorken grins


Gegen 12:00 erreiche ich Cachopo, ca. 1h in der Planung verloren und das auf nur 15km schockiert Zudem ist mir erbärmlich kalt und ich habe Hunger. Es gibt tatsächlich ein offenes Cafe, später sollte ich noch zwei weitere in dem Ort sehen, vielleicht wären die, die bessere Wahl gewesen. In dem Moment hatte ich einfach weder den Willen, noch die Kraft wirklich weiter zu suchen :ignore:

Einen Galão bestellt, Zucker rein …sau heiss lach Essen gibt es auch hier NIX. Nochmal nachgefragt, als der englisch sprechende Sohn auftaucht, nein, zu Essen gibt es nix! Also zweiten Galão bestellt und unter bösen Blicken mein II. Frühstück ausgepackt, ich hätte ja wirklich gerne 1-2 Tostadas und wer weiss was mehr bestellt. Vielleicht galten die Blicke auch eher den beträchtlichen Pfützen die sich unter mir gebildet hatten träller So richtig schlimm ist es nicht, der ganze Laden wirkt eher wie ein zugiger Wintergarten, mein Tacho sagt nachher was von 11,8°


Mir ist mittlerweile sehr klar geworden, dass ich unter den gegebenen Voraussetzungen keine Chance haben würde, die weiteren 45km auf der Via Algarviana zu schaffen und zumindest im Tageslicht Salir zu erreichen, zumal die folgende Etappe bis Barranco Velho satte 30km und angegeben 1.200 Hm hat. Also schaue ich nach einer Straßenroute und lasse mich dann tlw. von meinem Oregon routen.

Mittlerweile ist der Regen eher in heftige Schauer übergegangen, in den Pausen frischt der Wind stark auf, selbst in Norddeutschland dürfte man nun wohl von stürmischen Böen reden. Selbst auf der Straße wirkt die Gegend durchaus beeindruckend, tiefe Täler, nette Berge und auch die Straße lässt kaum eine Chance aus, den einen oder anderen Höhenmeter mitzunehmen. Wenn sich für einen kurzen Moment die Wolken etwas lichten und einen Blick ins Tal freigeben wirkt es schon imposant.

So richtig habe ich aber keinen Blick dafür. Offensichtlich werfen Eukalyptus Bäume ihre äussere Rinde ab, sobald es nach langer Trockenheit wieder Nässe gibt, und so treibt der Sturm Rindenstücke in rauen Mengen über die Straße, tlw. wird die Flughöhe deutlich überschritten, Kopftreffer gibt es keine, aber spassig ist es nicht mehr. Andere Bäume werfen nicht Ihre Rinde ab, sie werden dann im ganzen auf die Straße geblasen wirr


Barranco Velho ist in der Algarve so eine Art Bergdorf auf der Passhöhe. Kleiner Ort, ein paar Fotos wert, aber der jetzt gerade wieder einsetzende Starkregen lässt mich meinen Rucksack geschlossen halten. Hier zweigen div. Straßen nach Lissabon oder auch Faro ab. 29km bis Faro steht da schockiert ... und ich weiss noch mind. 15km bis Salir. Ich glaube hätte ich die Hotelzimmer nicht vorgebucht und mich wirklich auf die kommenden Etappen gefreut, ich wäre einfach links abgebogen, runter nach Faro, rein ins nächste Hotel, ab unter die heisse Dusche …und dann einfach abwettern peinlich

So versuche ich irgendwie die Orientierung zu finden, während bei der ersten Kreuzung noch Salir und Silves ausgeschildert waren, gibt es hier überhaupt keine Schilder. Irgendwann entdecke ich ein altes Haus …aha, gibt doch Schilder, sie sind in schicken Fliesen an die Wand geklebt cool



Die Abfahrt ist unglaublich lang und im gewissen Sinne die verdiente Belohnung für die Plackerei der letzten Stunden :bg: um 15:45 erreiche ich dann Salir und fahre erstmal in den Ort selber. Pastellaria, drinnen warm und Menschen, also nix wie rein, einen Teil der nassen Klamotten aus, Galão und Teilchen …Urlaub dafür

Blick zurück, da bin ich heute drüber …



Ich stelle fest, dass die Vorstellung von booking.com und mir, WAS zu einem Ort gehört, durchaus unterschiedlich sein können traurig die ca. 4km von Salir bis zur Casa de Tita sind nochmals hügelig und fordernd. Dafür ist die Begrüßung um so herzlicher, es gibt hausgemachten Portwein und hausgemachte Pralines, so wie ein Pastels de Nata als Sättigungsgrundlage lach …doch das schönste Geschenk, das Zimmer ist muckelig warm. Wegen des schlechten Wetters und weil man nicht wusste, wann ich komme, hat man gegen Mittag schon die heizende Klimaanlage angestellt …DANKE! lach


In dem Örtchen gibt es auch ein Restaurant, das hat zu. Das Zimmer ist eher eine Art Apartment und teilt sich mit einem weiteren eine nette Küche. Die Betreiber bieten mir an, dass sie mir Lebensmittel geben könnten und ich könnte mir was kochen, oder wenn es mir lieber wäre, würden sie mich auch zum Supermarkt zum Einkaufen bringen. Alternativ könnten sie mich Abends auch nach Salir "mitnehmen" und ich dort in ein Restaurant gehen. Klingt für mich besser.

Später stellt sich dann raus, dass die Betreiber auf dem Weg zu einem Geburtstagsessen sind und das "Geburtstagskind" schon mit uns im Auto sitzt, er spricht zwar weder Deutsch noch Englisch, meint aber, ich sei spassig und man fragt etwas verlegen, ob ich nicht mit zum Geburtstagsessen wolle. Also wenn es mir nichts ausmache, ansonsten könne ich gerne zu einem anderen Restaurant gehen.

Super leckere Essen, so viel der Grill und die Küche nur ausspucken, der Sohn ist studierter Dolmetscher für Englisch (das erklärt warum er so gut Englisch spricht), nach und nach beteiligen sich weitere Gäste an der Unterhaltung, die Mutter ist Dozentin für Englisch und Deutsch (erzählt sie aber erst sehr viel später in fliessendem Deutsch), die Nachbarin lebt eigentlich in der Nähe von New York …es wird ein großartiger Abend wein